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Common Ground

Auf einen gemeinsamen Nenner können sich viele Fans des britischen Retro-Progs ganz sicher einigen: Big Big Train. Dieser „Common Ground“ (English Electric / RSK) ist auch der Titel des neuen Albums der 2009 gegründeten Truppe um Gregory Spawton. Außerhalb der eingangs erwähnten Fangruppe hat man vielleicht schon von Big Big Train gehört, aber sie vermutlich noch nicht live gesehen, denn die Auftritte außerhalb der britischen Insel sind sehr rar. Dennoch ist die Band einer der Vorreiter der dortigen Prog-Szene, die gekonnt progressiven Rock mit Einflüssen des Folk vermischt. Gründungsmitglied Greg Spawton, inzwischen einzige Konstante in dieser außergewöhnlichen Band, liefert mit seiner Truppe oft folkloristische Rocksongs ab, die von den großen Prog-Legenden der 70er Jahre inspiriert sind. 

Wer die Band kennt, dürfte daher ein wenig überrascht sein, haben sich Stil und Sound auf „Common Ground“ doch erstaunlich weit gewandelt. Natürlich sind da immer noch unverkennbar Greg Spawton, David Longdon, Rikard Sjöblom und Nick D’Virgilio am Werk (sowie Gastmusiker), aber von Anfang an schwingen auffallend viele Reminiszenzen an die goldenen 80er Jahre des AOR und Bands wie Boston, Asia oder Toto mit. ‚These are the strangest times‘ heißt es im gleichnamigen Opener, dessen Text sich auf die Pandemie bezieht. Aber seltsame Zeiten sind es auch für die Big Big Train Fans. Doch schnell gewöhnt man sich an die Veränderungen, an die 80er Zitate, und noch vor dem Ende des Tracks ist man mittendrin und hat ihn gefunden, den „Common Ground“ mit Spawton und seinen Mitstreitern. Es gilt, ein spannendes Album zu entdecken, ganz sicher eins der besten im nicht gerade schmalen Katalog der Briten.

Der Gesang von David Longdon ist ausdruckstärker und auf ‚All The Love We Can Give‘ tiefer (!) als je zuvor. Der Song überrascht mit harten Gitarrenriffs, die man Big Big Train nicht unbedingt zugetraut hätte. Dazu kommen die Sjöblom-typischen Keyboards. Das ist schon sehr starkes Material, kommt mit ‚Black With Ink‘ aber noch viel besser. Treibende Rhythmen, wechselnde Gesangsparts, poetische Texte, lyrische Melodien, die typischen gesanglichen Harmonien. All das erwartet man von Big Big Train, und es wird geliefert. Anders, als erwartet, aber hochklassig und wunderschön. Die Band erfindet sich Song für Song neu, und das ist gut so.

‚Headwaters‘ ist ein kurzer instrumentaler Einschub, der nur vom Piano getragen wird und für Entspannung sorgt, bevor sich der nächste Instrumentaltrack ‚Apollo‘, der vom Schlagzeuger Nick D’Virgilio geschrieben und als quintessenzieller Big Big Train Song entworfen wurde, hinterrücks in den Gehörgang schleicht und von dort nicht mehr verschwinden will. Hier sind  all die Elemente enthalten, die Big Big Train auszeichnen: Flotte Keyboards, der Einsatz von Violine und Querflöte, mächtige Bläsersätze, Anleihen bei Funk, Folk und Fusion. Die Musik schwingt sich empor, segelt frei und ungebunden durch die Luft, hymnenhaft, episch, ergreifend. Natürlich darf ein Longtrack nicht fehlen. Den gibt es mit ‚Atlantic Cable‘ und dem angehängten Epilog ‚Endnotes‘, die es zusammen auf 22 Minuten bringen. Wieder bleiben insbesondere die tollen Bläser im Ohr, die immer wieder starke melodische Akzente setzen.

„Common Ground“ ist ein Meisterwerk des Retro-Prog geworden, eine wundervolle musikalische Reise einer Band, die sich trotz überraschender Stiländerungen treu geblieben ist. Dieser Zug ist noch lange nicht abgefahren.

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