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inFinite

Deep Purple-Verehrer sind ja generell die konservativsten Musikfans, die man sich so vorstellen kann. Sobald die Band von der reinen „Machine Head“-Lehre auch nur einen Zentimeter abweicht, wird sofort die Krise ausgerufen: „nej, nej, dat is‘ nich‘ mehr Purple, ming Jong!“ So kommt es, daß unter Purple-Fans ein eher langweiliges, aber wertkonservatives Album wie „Rapture Of The Deep“ ein höheres Ansehen genießt als experimentierfreudige und für die Entstehungszeit durchaus modern klingende Alben wie „Stormbringer“ und „House Of Blue Light“.

Warum ich das heute nochmal in einer Rezension erwähne? Nun, ganz einfach, auch mit „inFinite“ könnte manch ein Altfan durchaus seine Probleme haben. Denn auch wenn der Normal-Fan schon beim ersten Hören klassischen DP-Sound erkennen mag und sich ob des erstklassigen Songmaterials freuen wird, könnten doch einige Details dem CSU-Flügel der Fangemeinde ein wenig den Spaß verderben. Das beginnt schon bei der Produktion von „inFinite“. Die ist nämlich nicht sauber, audiophil und altersweise-brav ausgefallen, sondern so richtig schön rockig, kraftvoll – und modern. Dieser Sound würde auch jugendlichen Rotzrockern extrem gut zu Gesicht stehen und verschafft dem Album eine Frische und Energie, die seit „Purpendicular“ im Studio so nicht mehr zu vernehmen war. Besagte Frische kontrastiert wunderbar mit dem bisweilen eher düsteren Songmaterial und den teils recht schwermütigen Lyrics.

Ja, und Don Airey wagt es tatsächlich, gelegentlich von der Hammond-Orgel wegzugehen und mit Piano oder gar Synthie-Sounds Farbtupfer zu setzen. Sakrileg für die Einen, die Anderen werden sich über die dadurch entstehende Abwechslung freuen. Auch Steve Morse punktet auf „inFinite“ mit erfreulich großer Zurückhaltung. Machte auf „Now What?!“ noch mancher Song den Eindruck, lediglich Rahmen für ein exzessives Gitarrensolo zu sein, arbeitet er hier durchweg songdienlich und gibt damit Ian Gillan Raum für jede Menge großartiger Melodien. Apropos Gillan. Der hält sich diesmal fast ausschließlich in den tieferen Lagen und zaubert dabei eine Gänsehaut nach der Anderen, egal, ob er seine wie immer wortreich und amüsant verpackten Lebensweisheiten in einem Rocker wie „Time For Bedlam“, einem fiesen Anti-Liebeslied wie „All I Got Is You“ oder einer klassischen Rock’n’Roll-Story wie „Johnny’s Band“ darbietet.

Aber, wie man’s deht und wendet, der Star der Scheibe ist klar – Ian Paice. Waren seine Performances in den letzten Jahren eher zurückhaltend und „erwachsen“, treibt er auf „inFinite“ jeden Song mit lange nicht gehörter Kraft und jugendlicher Spielfreude an. Im Verbund mt Roger Glovers grundsolidem Bassfundament ist Paicey für einen Großteil der Energie im Alleingang verantwortlich. Man höre sich die dynamische Steigerung in der zweiten Single ‚All I Got Is You‘ an, in der er von jazzigem Intro zu ‚Pictures Of Home‘-Heavy-Shuffle hochsteigert, ohne irgendwo eine Bruchstelle erkennen zu lassen. Ganz großes Handwerk.

Der Hauptgrund, warum man „inFinite“ aber als DP-Fan unbedingt braucht, ist klar der epische Albumhöhepunkt ‚Birds Of Prey‘. Der vermutlich letzte Eintrag in der langen Liste „Deep Purple goes Prog“ zählt nämlich zu den besten Songs, die die Band in ihrer fünfzigjährigen Karriere abgeliefert hat. Man höre Steves unfassbares Gitarrensolo, Gillans eindringlichen und kraftvollen Gesang, der dem opulent-apokalyptischen Streicherarrangement trotzt wie einem Sturm oder eben wieder einmal Paiceys geniales Schlagzeugarrangement, bei dem jeder Schlag exakt dorthin genagelt wird, wo er die maximale Effizienz erzielt, dabei jeder Schlenker von Gitarre, Bass und Keyboard mitbetont, und trotzdem klingt alles groovig, unverkopft und dynamisch. Zum Ende des Songs hat man aufgrund des angekündigten Abschieds der Band unweigerlich einen Kloss im Hals. Aber clevererweise lassen Deep Purple das nicht so stehen, sondern legen mit einer extrem tiefenentspannten Coverversion von ‚Roadhouse Blues‘ ein lockeres Stück Boogie hinterher, das den Hörer rückversichert: alles ist in Ordnung, nehmt’s nicht so schwer, it’s only Rock’n’Roll. Das funktioniert prächtig und schließt den Kreis zu den frühen Deep Purple-Alben, die ja auch noch eine Menge Coversongs beinhaltet hatten.

Sollte „inFinite“ tatsächlich das Letzte sein, was wir aus dem Hause Deep Purple zu hören bekommen, kann die Band sicher sein, ein adäquates Abschiedsgeschenk gemacht zu haben. Aber auch ohne diesen Bezug ist „inFinite“ ein Höhepunkt der späten Bandgeschichte und aufgrund des vollkommenen Fehlen von Füllmaterial (selbst auf „Purpendicular“ gab es ja doch so Einiges davon) das Beste der Ära Steve Morse.

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