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NOISEHAUSEN FESTIVAL – Einmal Glückseligkeit und zurück, bitte!

Der Evakuierungsplan stand, falls das wetterdienstlich angedrohte starke Gewitter doch noch beschließt, seine Ladung über dem Noisehausen Festival in Schrobenhausen loszuwerden. Doch die Sintflut zog vorbei, und die familiär-kuschelige Veranstaltung konnte zum vierten Mal ungestört in neuem Rahmen stattfinden: Anstelle der Schrobenhausener Altstadt verwandelten die Organisatoren dieses Mal das Firmengelände des Unternehmens Bauer in eine gemütliche Oase mit zwei Bühnen für Musikenthusiasten aller Genres und Altersklassen.

Die zur Schau gestellten Bandshirts reichten von Led Zeppelin und Rolling Stones über Broilers, CJ Ramone und Grand Hotel van Cleef bis hin zu Eluveitie und Kataklysm, das Publikum vertrat die Generationen zwischen 0 und 99 Jahren, und das Lineup brachte Fans von Rock, Indie, Reggae, Punk, Hamburger Schule, Pop, Hip Hop und Brass zusammen. Diese kunterbunte Mischung spiegelte so ganz nebenbei sehr schön das Motto des Festivals wieder: Peace, Love & Rock’n’Roll. Oder, deutlicher ausgedrückt, FCK AFD, Nazis raus, wir sind laut, wir sind mehr, wir leben und lieben die Vielfalt.

Der Opening Act, die Pawn Painters aus Schrobenhausen, schreckten mit ihrem Intro den ein oder anderen für einen Moment auf, erklang doch der alte Scooter-Klopper „I Feel Hardcore“. Nachdem der erste Schock überwunden war, ging es gottlob mit solidem Indie-Rock weiter, der Liebhabern virtuoser Soli Freudentränen beschert haben dürfte. Mit Taskete!, der neuen Noiserock-Formation von Sportfreunde Stiller-Schlagzeugmaschine Flo Weber, übernahmen die nächsten Lokalmatadore und bewiesen, dass es nicht viel braucht, um wohlsortierten, amtlichen Lärm zu machen. Drums, Gitarre, halsbrecherische Tempowechsel, auf Maximalleistung geschraubte Verstärker und ein charismatischer Frontmann, bzw. eigentlich ein Frontmann-Duo reichen aus, um bei gefühlt 36 Grad die ersten euphorischen Wallungen durchs Publikum zu schicken.

Taskete! machen ordentlich Dampf // Foto: Christina Freko

Zeit, die Second Stage aufzusuchen, wo A Tale Of Golden Keys mit ihrem lauschigen Indie-Pop die Gelegenheit für eine kleine Verschnaufpause bei einem kühlen Getränk boten. Derart revitalisiert war es kein Problem, bei Mono & Nikitaman, dem ersten Highlight des Tages, schon einmal ein wenig Gas zu geben. Von Beginn an hatten die beiden das Publikum auf ihrer Seite. Arme schwangen in der Luft, bunt qualmende Mini-Bengalos wurden gezündet, und alle waren sich einig: Hier und heute ist kein Platz für Rassismus, Homophobie, rechte Hetze und Gewalt. Ob politisch, feministisch oder pro Hanflegalisierung, Mono & Nikitaman hatten ein gut gemischtes Set aus 15 Jahren Bandgeschichte im Gepäck und brachten die Leute in der heißen Nachmittagssonne zum Tanzen.

Mono & Nikitaman heizen der Menge ein // Foto: Christina Freko

Als letzter Act auf der Second Stage spielten Monobo Son. Hier bekam „das Publikum abholen“ eine völlig neue Bedeutung. Diejenigen, die sich zu Beginn noch entspannt in den Liegestühlen fläzten, wurden persönlich von der Band eingesammelt und mit zur Bühne genommen. Die ohnehin schon bombige Stimmung wurde dadurch noch einmal mindestens drei Level nach oben gepusht. Derart miteinander bekannt gemacht folgte mit „Komisch“ gleich die Vorstellung in Songform. So konnte auch vom Publikum zu „König Von Der Strass“ mit Inbrunst der Refrain geschmettert werden. Manuel Winbeck und seine Musiker-Spezln brachten nicht nur jede Menge gute Laune und Herzlichkeit auf die Bühne, sondern auch bayrisch inspirierten Brass mit Hip Hop- und Tango-Einschlag („Angela“). Immer tanzbar, mit Raum für Schlagzeug-Soli und beeindruckende Saxofon-Akrobatik. Als letzten Song gab es mit „Wienerin“ den Titeltrack vom aktuellen Album „Scheene Wienerin“, bevor sich das Publikum die letzten beiden Bands auf der Main Stage anschauen konnte.

Monobo Son begeistern mit Brass und Herzlichkeit // Foto: Christina Freko

Dort gab sich zunächst der Co-Headliner The Baboon Show aus Schweden die Ehre. Das Quartett legte eine energiegeladene Show hin, die ihresgleichen sucht. Bereits beim Opener „No Afterglow“ schöpfte Zeremonienmeisterin Cecilia Boström aus dem Vollen und ging sofort auf Tuchfühlung mit dem Publikum, das es ihr euphorisch dankte. Es dauerte nicht lange, bis eine ansehnliche Anzahl Leute fröhlich im Moshpit kreiselte und pogte, während The Baboon Show mit Vollgas und der gewohnten Portion Wut und Rotzigkeit ihr Set präsentierten. „Queen Of The Dagger“, „Holiday“, „Me, Myself And I“ und natürlich der Titeltrack zum aktuellen Album, „Radio Rebelde“, waren nur einige der Perlen, die es zu hören gab. Als Cecilia kurzerhand beschloss, erst einmal crowdsurfend in Richtung Mischpult zu verschwinden, übernahm Gitarrist Håkan Sörle das Mikro und wurde bei Rückkehr seiner Frontfrau auf die Bühne für seine Entertainment-Qualitäten gelobt. Nach gut eineinviertel Stunden badeten Menge und Musiker in einem Meer aus Schweiß und trennten sich nach zwei Zugaben nur schweren Herzens.

The Baboon Show lassen das Publikum kochen // Foto: Christina Freko

Doch die Wehmut hielt nicht lange, schließlich stand für viele nun das Highlight des Tages auf dem Time Table: Kettcar, jene Hamburger Combo, die einst mehr oder weniger aus purem Trotz das Indie-Kultlabel Grand Hotel van Cleef gründete und wie kaum eine andere deutsche Band für messerscharf auf den Punkt gebrachte Texte mit einer Prise trockenen Humors und einer gesunden Portion Melancholie steht. Als Opener zündete „Money Left To Burn“ sogleich die Begeisterungsstürme im Publikum, und so schallte der Combo um Marcus Wiebusch ein textsicherer Chor entgegen. Es folgte ein Bad in Gänsehautmomenten, sei es beim – Zitat – „Emoblock aus zwei Liebesliedern“, „Ich Danke Der Academy“ oder „Ankunftshalle“. Sah man sich im Publikum um, gab es unzählige beseelte Gesichter zu betrachten, die mit den Hamburgern den „Sommer ‘89“, den „Balkon gegenüber“ inklusive neuer, zweiter Strophe oder eine Liebe, die sich in „48 Stunden“ bittersüß ins Tragische verkehrt, melodisch zelebrierten.

Höhepunkt des Festival-Tages: Kettcar // Foto: Christina Freko

Gewohnt trockenhumorig präsentierte Bassist Reimer Bustorff die ein oder andere Anekdote über die vor derartigen Veranstaltungen geführten Telefonate mit seiner Mutter. Zum Beweis, dass auch wirklich jemand zu so später Stunde – Kettcar traten um 23.30 Uhr auf – noch da ist, um die Band zu hören, wurde schließlich am Ende ein Foto für Mama Bustorff geschossen. Nach drei Zugaben entließen Kettcar mit dem abschließenden „Landungsbrücken raus“ ihre Fans in die inzwischen etwas frische Sommernacht. Zurück blieb ein Gefühl der Glückseligkeit und der sichtlich gerührte Veranstalter Andreas Baierl, der es scheinbar selbst nicht fassen konnte, was er hier mit seiner Crew auf die Beine gestellt hatte: Ein mehr als gelungenes, kleines aber hochfeines Festival, das hoffentlich noch viele Jahre in dieser Form bestehen bleiben wird. Danke dafür, lieber Andi & Team!

Text: Christina Freko & Melanie Sauter

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