|

Shrines Of Paralysis

Gerade erst führte ich eine spannende Unterhaltung mit einer guten Bekannten. Eine „Nicht-Eingeweihte“. Sie fragte mich ehrlich interessiert, warum mir Death-Metal gefalle. Ein Musikstil, zu dem sie trotz echter Aufgeschlossenheit keinen Zugang finden konnte. Sympathische Menschen, die sich begleitet von Lärm auf der Bühne in „röhrende Tiere“ verwandeln und etwas Brüllen, das man nicht verstehen kann – das erschloss sich ihr einfach nicht.

Vermutlich gäbe es einfacher zugängliche Bands als Ulcerate, um ihr diese Musik zu erklären. Jenen neuseeländischen Extreme-Metallern, die mehr als viele andere mit Dissonanzen in ihrer Musik arbeiten und ihre Zuhörer mit schier endlosen Teppichen von Riffgewittern und Blastbeats zudecken. Dennoch: Musik ist, egal um welchen Stil es sich handelt, nicht in erster Linie etwas theoretisches. Sicher, sie besteht aus Noten, Takten, Texten, Melodien. Aber warum macht der Mensch überhaupt Musik, und warum findet nahezu jeder Mensch Zugang zu ihr? Ich habe meiner Bekannten gesagt, es seien die Gefühle. Die Emotionen, heruntergebrochen auf dynamischen Ausdruck als etwas, das man nicht im eigentlichen Sinne erklären kann. Im Schlager sind es simple Melodien und kitschige Inhalte. Bei Bands wie Ulcerate, die es wie wenige andere meisterhaft verstehen, technisch anspruchsvollen Death Metal mit düsterem Post-Metal zu verschmelzen, sind die Inhalte und Form eine andere. Aber die gefühlsmäßige Triebfeder sowohl für Komponisten als auch Rezipienten sind die Emotionen. Und unter allen Musikgenres versteht es wohl keines dermaßen gut, vor allem negative Gefühle mit Ohren und Bauch erlebbar zu machen, wie Death Metal.

Ulcerate haben sich mit ihrem fünften Werk „Shrines Of Paralysis“ vorgenommen, zugänglicher zu werden, wenngleich Drummer Jaime Saint Merat im Interview mit Whiskey-Soda ein treffendes Selbstbild zeichnet: Ulcerate seien nicht für Jedermann. In den Songs geht es um einen wütenden, negativen Blick auf die Menschheit, die sich selbst zerstört. So ist dann der Titel des Albumauftakts auch treffend ‚Abrogation‘ – und das explosiv-kreative Trio lässt keinen Zweifel daran, dass „etwas zugänglicher werden“ eine absolut relative Sache ist. Mit wahnwitzig-schwarzmetallischen Stakkato-Drums, einem Tornado an verzerrten Gitarrenriffs (von nur einer Gitarre!) und den sinistren Growls von Sänger/Bassist Paul Kelland heben die Kiwis das Genre in den ersten drei Minuten des Albums aus den Angeln. Eine stimmungsvolle, von einer doomigen Grundstimmung geschwängerte Postmetal-Verschnaufpause – dann geht es nur unwesentlich intensiv weiter mit den psychotischen Klängen. ‚Yield To Naught‘ und ‚There Are No Saviors‘ gehen da in eine ganz ähnliche Richtung.

Das hier ist düstere Bauch-Musik und so anspruchsvoll sie musiktheoretisch sein mag, sie erschliesst sich am ehesten ohne zu viel zu Denken. Alles resoniert tief in den Innereien: Der Begriff „guttural“ kommt schliesslich genau daher, und Kellands Gesang kommt von beeindruckend tief unten. Aber auch die stark vom Doom-Metal geprägten Riffs, und das häufig, aber beileibe nicht immer an den Black-Metal erinnernde Schlagzeug tun ihr übriges. Immer wieder erforschen die drei Herren abschnittsweise auch rein instrumental ihren Einfluss auf die Gefühle. Verstörend, irrational, chaotisch und lähmend kann man die Zustände auf unserer Erde bezeichnen – „Shrines Of Paralysis“ vertont diesen emotionalen Irrsinn über acht Lieder in einer knappen Stunde. Atmosphäre ist ein wichtiges Element der Faszination an diesem Album, besonders verdichtet in knapp zwei Minuten mit dem gruselig-dissonanten ‚Bow To Spite‘, das direkt zum schaurigen ‚Chasm Of Fire‘ überleitet, welches wahrhaftig Gänsehaut-Wellen auslöst.

Das Ende aller Hoffnung sehen die drei Jungs aus Neuseeland für die Menschheit gekommen – und das ist auch der Titel des achten und letzten Songs. Mit dem eruptiven ‚End The Hope‘ schliessen Ulcerate sowohl thematisch als auch musikalisch den Kreis zum ersten Lied: „Shrines Of Paralysis“ ist der in wilden Klang und extreme Emotionen gegossene Soundtrack zum Untergang der Menschheit. Ob man das verstehen kann, ob man Musik überhaupt verstehen kann, sei dahingestellt. Aber dichter und unerbittlicher kann man das wohl kaum in Tönen ausdrücken.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar