THE BABOON SHOW – Die Revolution muss warten
Whiskey-Soda.de: Es ist jetzt über ein Jahr her, dass „Radio Rebelde“ veröffentlicht wurde. Wenn Ihr zurückblickt – was war das Aufregendste, was in dieser Zeit passiert ist?
Håkan: Wahrscheinlich, dass Niclas angefangen hat, Jeans-Shorts auf der Bühne zu tragen.
Niclas: Das war ein großer Schritt! (lacht)
Im Titeltrack zum Album geht es um Solidarität. Erinnert Ihr Euch, wann Ihr Euch das letzte Mal total verlassen gefühlt habt und ein wenig Unterstützung gebraucht hättet?
H: Ich fühle mich fast jeden Tag so. Wir leben in einer individualistischen Gesellschaft. Jeder will irgendwo dazugehören und die Menschen suchen nach Wegen, mit anderen in Kontakt zu kommen. Es gibt keine Solidarität mehr.
Was glaubst Du, woran das liegt?
H: Die Menschen fühlen sich von der Demokratie verraten. Man wählt eine bestimmte Partei, aber sie machen alle dieselbe Politik.
Das denken tatsächlich viele Menschen in Deutschland. Wie verhält es sich in Schweden?
H: In Deutschland habt Ihr die AfD, wir haben die Schwedendemokraten, das sind Schwesterparteien. Ein Haufen Faschisten, aber sie geben sich als normale Menschen und erreichen so die Leute. Ich glaube, 90% der Menschen, die diese Parteien wählen, sind weder Rassisten noch Faschisten. Sie haben nur das liberale, extrem kapitalistische System satt. Sie wollen etwas anderes. Dann wählen sie eine Partei, die dieses System genauso will, die Leute aber nur an der Nase herumführt.
Liefern Euch gerade die Rechtspopulisten auch Inspiration für Euer Songwriting? Ich habe hier speziell „War“ im Kopf, meiner Meinung nach der packendste Song auf „Radio Rebelde“ …
N: Håkan, den hast Du geschrieben.
H: Sieh Dich um in der Welt, die Menschen flüchten vor Krieg in ihren Heimatländern und suchen Schutz in unseren sicheren Ländern. Das Problem ist, dass Parteien wie die AfD und die Schwedendemokraten nur über Probleme mit Migranten und Flüchtlingen sprechen. Natürlich gibt es Probleme – die Menschen kommen aus dem Krieg und sind traumatisiert. Außerdem kommen sie aus anderen Kulturen, wo Frauen keine Rechte haben. Wir müssen ihnen beibringen, wie es bei uns läuft. Aber niemand fragt sich, warum die Familien ihre Heimat verlassen – weil sie bombardiert werden.
Glaubst Du, dass es vielen an Empathie fehlt oder sie sich gar nicht denken können, wie schlimm es sein muss, seine Heimat zu verlieren?
H: Das war die Idee hinter dem Song. Ich wollte dieses Gefühl vermitteln. Gott sei Dank war ich nie im Krieg, aber ich kann mir vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Ich habe selbst Kinder. Würden sie auf der Straße im Bombenhagel ihre toten Eltern sehen, würden sie auch das Land verlassen. Es ist reine Glückssache, wo Du geboren wurdest.
Um nochmal auf fiese Politiker zurückzukommen: In Eurem Song „Pig Of The Year 2006“ kürt Ihr einen Entscheider zum Oberekel. Wer würde den Award im Jahr 2019 verdienen?
H: Da gibt es viele Kandidaten …
N: Bolsonaro! Er fährt nicht nur sein Land gegen die Wand, sondern die ganze Welt mit seinen Entscheidungen, was den Regenwald betrifft. Es gibt so viele Tiere, die nur dort leben und wahrscheinlich ausgerottet werden. Das alles ist so dumm. Außerdem ist er auch noch ein guter Freund von Trump.
Glaubt Ihr, es ist an der Zeit für eine Revolution?
H: Es gibt überall so unterschiedliche Entwicklungen. Die Politik ist zwar ähnlich, aber die Menschen sind verschieden. Die Schweden müssen schon sehr leiden, bevor es zu einer Revolution kommt. Die Frage ist auch, ob sie friedlich oder gewalttätig abläuft.
Lass uns von einer friedlichen Revolution ausgehen.
H: Waffen sollten die letzte Instanz sein. Ich würde eine Waffe benutzen wenn nötig – ich bin nicht Gandhi. Wenn ein Faschist versuchen würde, mich zu töten, wäre ich der erste, der ihn umbringt. Definitiv. Selbstschutz ist in Ordnung. Aber man sollte nicht derjenige sein, der angreift.
N: Die Menschen sind noch nicht bereit.
H: Der Leidensdruck muss größer sein. Sie müssten hungern, dann käme es zur Revolution.
Es muss ja nicht immer gleich die ganz große Nummer sein, wir alle rebellieren auch im Kleinen. Wogegen habt Ihr schon aufbegehrt?
H: Als Teenager habe ich einen Skinhead niedergerungen, sie waren zu acht, ich alleine. Ich habe ihm gesagt, sie sollen verschwinden, wir wollen sie nicht in unserer Stadt. Sie sind tatsächlich abgehauen. Das hätte auch anders ausgehen können – ich war ziemlich betrunken und total bescheuert. [zu Niclas] Wir haben Fahrradreifen aufgeschlitzt.
N: Das war nicht rebellisch, sondern einfach nur dumm. Ich weiß wirklich nicht, was das rebellischste war …
Vielleicht, Shorts auf der Bühne zu tragen?
N: Ja, das ist rebellisch.
H: Ästhetische Rebellion!
Und ein Stück Emazipation – schließlich gelten Shorts für Männer als modische Todsünde. Auch in Eurer Musik geht es oft um die Gleichstellung der Geschlechter und feministische Themen. Was bedeutet Feminismus für Euch?
H: Heutzutage kannst du ein Bourgeois sein und behaupten, du bist Feminist. Fuck off, bist du nicht! Es gibt in Schweden viele Rechte die sagen, sie seien Feministen, weil sie Populisten sind. Für mich bedeutet Feminismus definitiv die Gleichberechtigung der Geschlechter. So einfach ist das. Ich persönlich brauche den Begriff nicht. Ich sage: Ich bin Sozialist. Das schließt Geschlechtergleichheit automatisch mit ein.
Schweden gilt in Europa als Vorreiter in Sachen Gleichstellung. Wie seht Ihr das?
H: Schweden ist wohl eines der gleichberechtigtsten Länder der Welt. Das ist auch ein Grund, weshalb die Schwedendemokraten erstarken. Es kommen Menschen aus Ländern, in denen es keine Frauenrechte gibt. Sie leben in den Vororten und bilden Parallelgesellschaften. Das bekommen die Leute mit und wählen die Schwedendemokraten. Wir müssen den Migranten erklären, dass es hier nicht in Ordnung ist, seine Schwester zu töten, weil sie einen schwedischen Freund hat – niemand findet das gut. Wir lernen schon in der Schule, dass es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt.
In Deutschland ist das nicht so.
H: Oh, tatsächlich?
Ja. Wir bekommen eingetrichtert: Jungs sind gut in Mathe und Naturwissenschaften, Mädchen können dafür besser Sprachen lernen …
H: Männer sind körperlich stärker, das wars aber auch schon. Klar gibt es Unterschiede, aber diesen sexistischen Mist braucht niemand. Wir Schweden lernen nicht, dass Frauen nicht Auto fahren oder keine Dinge reparieren können. Ich habe zwei Söhne und eine Tochter. Meine beiden Jungs mögen Motorräder und Autos, ich interessiere mich für Gitarren. Ich kann Auto fahren, klar, aber es ist nicht mein Hobby. Es war einfach in ihnen drin.
Wie meinst Du das?
H: Ich bin Marxist und glaube daran, dass man auch durch sein soziales Umfeld geformt wird, aber nicht ausschließlich. Manches ist einfach von Anfang an festgelegt. Wenn man selbst Kinder hat, merkt man das.
Für Frauen ist es sicher auch nicht ganz einfach, sich in der männerdominierten Punk- / Hardcore-Szene zu behaupten. Eigentlich wäre das eine Frage für Cecilia oder Frida. Könnt Ihr was dazu sagen?
H: Wenn Niclas und ich beispielsweise noch vor der Crew und allen anderen in den Club gehen und noch kein Artist-Bändchen haben, stellt niemand in Frage, dass wir in der Band spielen. Bei den Mädels wollen sie immer den Backstage-Pass sehen und fragen, was sie hier machen und ob sie die Groupies sind. Das passiert nicht jedes Mal, aber es kommt vor.
Was glaubt Ihr – weshalb werden Cecilia und Frida nicht, wie Ihr, direkt als Bandmitglieder wahrgenommen?
H: Wir leben in einer kapitalistischen Welt, das ist das größte Problem. Für Festivals werden in der Regel Bands gebucht, die viele Leute anziehen. Sie buchen nicht paritätisch – 50 % Künstlerinnen und 50% Künstler. Sie wollen Geld verdienen. 90% der Leute, die in Bands spielen, sind Männer, sehen wir der Tatsache in Auge.
Wie würdet Ihr ein Gleichgewicht herstellen?
H: Wir sollten ganz am Anfang beginnen und den Kindern schon in der Schule weibliche Role Models zeigen, zum Beispiel unsere Bassistin Frida. Dann sehen sie, dass Frauen auch cool sein können auf der Bühne. Auch musikinteressierte Eltern können zu Hause viel in die Richtung machen.
Wo wir gerade über Festivals sprechen: Was ist das Besondere daran, auf so einer Veranstaltung aufzutreten?
H: Es ist sowohl gut als auch schlecht. Ich spiele lieber in Clubs, da ich dort einen vernünftigen Soundcheck ohne Publikum machen kann. Ich kann alles ausprobieren und später auf der Bühne klingt es dann so, wie ich es will. Hier ist es ziemlich stressig. Wir rennen kurz vor dem Gig herum, gehen auf die Bühne, prüfen jedes Kabel und die Systeme und machen dann einen schnellen Line Check. Dann runter von der Bühne, wieder rauf auf die Bühne in der Hoffnung dass alles funktioniert. Während der ersten drei oder vier Songs müssen wir immer die Monitore anpassen lassen. Bei den Club-Shows ist es von Anfang an perfekt.
Was ist das Gute an Festival-Shows?
H: Was ich an Festivals mag, ist die Atmosphäre. Du kommst aus dem ruhigen Auto und bist direkt mitten in der Party. Man trifft viele Freunde aus anderen Bands. Als wir das letzte Mal in der Schweiz auf dem Greenfield waren, haben wir Feine Sahne Fischfilet, Die Toten Hosen und Millencolin getroffen, das war wie eine Familienzusammenkunft.
Stellt Euch vor, Ihr würdet selbst ein Festival organisieren und hättet Narrenfreiheit beim Line-Up. Welche Bands würdet Ihr buchen?
H: Ich würde die dänische Hardcore-Band Night Fever buchen, das wäre meine Nummer eins. Dann natürlich noch Die Toten Hosen, ich liebe sie einfach. Die Antilopen Gang, vielleicht auch Feine Sahne Fischfilet mit einem nüchternen Monchi, was wohl schwierig ist. Aber er ist großartig! Natürlich würde ich auch AC/DC buchen, aber nicht mit diesem bescheuerten Axl Rose. Ich würde Bon Scott aus dem Grab holen, um eine coole Show zu haben. Ich würde auch eine schwedische Band einladen, die kennt ihr nicht. Das ist eine coole sozialistische Folk-Band.
Das klingt gar nicht so übel. Gleich steht Ihr selbst auf der Bühne, und Cecilia wird wieder ihrer ungezügelten Energie freien Lauf lassen. Wie viele Verletzungen habt Ihr dank ihrer Performance schon kassiert?
H: Sie hat bei einer Show in mein Bein getreten. Am nächsten Tag konnte ich nicht mehr laufen, weil alles geschwollen und blau war. Vor ungefähr zwei Jahren, in Hannover, hat sie das Mikro super schnell am Kabel über ihrem Kopf geschwungen, wie einen Helikopter. Fast hätte sie Frida damit erwischt. Wenn sie getroffen worden wäre, hätte sie sterben können. Da ich Cecilia kenne, versuche ich einfach, Abstand zu halten.
2 Kommentare